Arbeiten

2011

« House party » vier Einzelausstellungen von Markus Koeck unter einem Dach
Medienarbeiten

House party - Sinfonie in vier Sätzen für einen Solisten

Allegro assai

18 Jahre nach der Selbstermächtigung mit dem Setzen eines benannten Zeitpunktes der Künstlertätigkeit und 11 Jahre nach der ersten Einzelausstellung in der galerie m beck nehme ich die Gelegenheit zu mehreren Schlägen auf der großen Kesselpauke wahr. Diese hat einen Stimmumfang vom kleinen c zum großen F, das mag Ihnen einen kleinen Vorgeschmack der Idee geben, die für mich hinter dem verwendeten Sprachbild steht.

Was Sie Anfang 2011 für einen Monat in meiner Stammgalerie sehen können, ist meine House party, ein Fest über alle Etagen, ein Versuch, mehr als nur einen scheinbar wohlgeordneten Teilaspekt meines Schaffens zu zeigen, ein Versuch, mich selbst und meine Vielfältigkeit – oder auch die "irritierende Unschärfe", wie das in diesen Hallen gerne genannt wird – zu feiern. Ein Versuch, die Eindimensionalität zu unterlaufen, die im Kunstmarkt sonst so gerne gesehen wird, weil "man" dann weiß, was "man" da hat. Erst die höheren Weihen von höherrangigen Ausstellungen in der Bundesliga, nach lang erkämpften relevanten Messeteilnahmen und nennenswerten Verkäufen an Leuchttürme wie Sammler, Sammlungen und Museen ermöglichen es oftmals erst wieder, die viel gerühmte und doch oft – auch aus dem Markt – angegriffene Freiheit der Kunst für sich selbst in Anspruch zu nehmen – auch um den Preis des Abrutschens der eigenen Popularität und Marktgängigkeit. Auf mich trifft dieser Vergleich nicht zu, denn ich spiele – immer noch? – in der Regionalliga und kann tun und lassen, was ich will. Kann ich das?

Adagio affetuoso

Ich habe für einen Monat die Gelegenheit, dieses ganze Haus mit seinen vier Etagen zu bespielen. Sie d¨rfen diesen Begriff wörtlich nehmen, denn Kunst ist für mich ein Spiel mit hohem Einsatz und noch höherem Risiko. Unlängst nahm ich an der HBK Saar an einem Seminar zum Thema Architektur und Spiel teil, in dem es um Architektur in Computerspielen und im Internet und auch um Aspekte der Virtualisierung und Raumerfahrung ging. Ich stellte dabei wieder einmal wenig überrascht fest, dass ich nicht der Typ Mensch bin, der in seiner Freizeit noch spielt – denn meine Kunst ist mein Spielfeld. Sie ist damit der Gattung der "Serious games", der "ernsten Spiele", die unter anderem gerne als Spiele mit "edukativem Charakter" bezeichnet werden, sehr viel näher. Und doch ist das, was ich als House party aus meiner Perspektive auf Sie loslasse, auch mein persönlicher Egoshooter, erstellt einzig und allein in der Absicht, Sie mit den Spielergebnissen zu treffen, die ich mein Atelier verlassen ließ.

Spielbasiertes Lernen - wie klingt das für Sie? Eine Idee, die mich bis heute mit meinem ersten Semester an der HBK Saar verbindet, als es unter der Leitung von Oskar Holweck ganz einfach ums Spiel als Semesterthema ging. Wenn Sie den Gedanken des Egoshooters aufnehmen, sind wir dann Feinde oder spielen Sie in meinem Team? Und was haben wir dann gegen- oder miteinander vor?

"Ein paar" ganz eitle Worte im Sinne der Theoriebildung durch den Künstler selbst zur Spielstrategie: Gesehenes, gelesenes, erlebtes verdichtet sich in einer mir nicht näher erklärlichen Weise zu Ideen, die – mal schneller und mal langsamer getaktet – als Gedankenblitze auftauchen. Zuweilen habe ich Mühe, die notwendige Pause ein zu legen, um sie wenigstens zu notieren, doch seit das Zeitalter der elektronischen Kommunikation angebrochen ist, bombardiere ich mich recht häufig mit E-Mails an mich selbst, die meist aus einer Betreffzeile und selten noch einer knapp erweiterten Ideenskizze bestehen. Vergesse ich diese, bleiben mir meine eigenen Ideen zuweilen unerklärklich, was dazu führt, dass ich die mir nicht mehr zugänglichen Bruchstücke wieder als Steine des Anstoßes … usw. usf. ….

Um noch einmal bei der Freiheit der Kunst an zu fangen: einfach und beruhigend ist es, wenn schon im Voraus gewusst wird, was zu erwarten ist. Ücker: Nägel; Graubner: Farbräume; Buren: Streifen; Rosenbach: Performance, Installation; Holweck: Papier. Koeck: ? Sie verstehen!? Ein Leben voller Klassifikationen – teils berechtigt, weil ein(e) Künstler(in) womöglich so besessen von der Auseinandersetzung mit einem Thema / einem Material / einem Genre ist, dass er / sie immer wieder neue, Sinn stiftende Aspekte mit neuen Kunstwerken hervor zu bringen vermag, teils unberechtigt, weil so vieles unbeachtet und damit unausgesprochen bleibt, das sich trotzdem manifestiert. Wir leben in einer Ökonomie der Aufmerksamkeit und meine Ausstellungen sprechen für mich – gibt es sie nicht, habe ich vielleicht meine Seele ein Stück frei-ge-arbeitet, aber wiederum nur totes Kapital für mein Lager er-arbeitet. Treffen sie nicht auf die Aufmerksamkeit und das Kaufinteresse von Besuchern, bleibt einer der gewählten Berufe zum wiederholten Mal ein finanzielles Verlustgeschäft.

Ein fünfjähriges Engagement als Künstler der Galerie Art Academy in Dresden von 2004 bis 2009 (als die Galerie leider geschlossen wurde) hat mir die erzwungene Eindimensionalität des Kunstmarktes und auch den Zuschnitt eines Galerieprofils sehr deutlich gemacht: Fotografie, speziell die Architekturfotografie gab den Ausschlag für meine Aufnahme in den Künstlerstamm und wurde in Dresden zu meinem Profil – nicht zu meinem Nachteil, denn ich konnte ein so ambitioniertes Projekt wie Sachsenmilch umsetzen: Industriefotografie als fast freie künstlerische Werksdokumentation mit einem bedeutenden Ankauf. Ein charmanter Nebenaspekt war sicherlich die Tatsache, als Fotograf in einer Rezension mit Eberhard Havekosts Bildern verglichen zu werden. Nicht verwunderlich, wenn man weiß, dass er immer nach eigenen Fotografien arbeitet.

In der galerie m beck zeigte ich im Jahr 2000 als erste Ausstellung unter dem Titel "Upskirt" Fotografien von Menschen (bis heute und auch weiterhin eines meiner Leitmedien), im Jahr 2005 unter dem Projekttitel "Garten der Lüste" Medienarbeiten – wie Mathias Beck sie nannte – und deckte damit schon einen viel breiteren Bereich an Techniken, Materialien, Manifestationen ab, der von klassischen Fotoarbeiten über komplett digital entstandene Arbeiten bis zu Drucken und plastischen Arbeiten reichte, verbunden durch eine zusammenhängende Inszenierung. Im Jahr 2008 war es wieder die Fotografie, dieses Mal mit einem Langzeitprojekt am stuttgarter Schloss Solitude, das mir nach 15 Jahren kontinuierlichen Fotografierens die Gelegenheit bot, inne zu halten und das schon Gesehene zu bewerten.

Pause

Scherzo, vivace

Markus Koeck über Markus Koeck, 2005: "In meiner Arbeit der letzten Jahre blieben scheinbar unvereinbare Ideen auf der Strecke, die sich nach einer eindrücklichen Wiederbegegnung mit dem Tryptichon von Bosch (Der Garten der Lüste – Hinzufügung durch Markus Koeck) in eine mögliche Richtung drängten."

Das scheinbar Unvereinbare wird dieses Mal auf vier Etagen präsentiert, durch Stockwerke von einander getrennt und doch vereint und zusammengeschlossen mit Arbeiten aus dem Jahr 2005, die in neuem Kontext ganz anders bewertet werden können.

Es beginnt im foyer mit "Weberei Koeck". Schon immer war meine Fotografie auch ein Ausgangspunkt für andere Arbeiten. Ich habe einen Weg gefunden, meine Motive weiter zu verarbeiten, anstatt sie "nur" zu präsentieren. Das ausbelichtete Foto als Ausgangspunkt für eine Begegnung mit sich selbst. Ein aggressiver Akt - die Zerstörung des Einen gebiert das Andere – analog wie digital. Was ich und Sie dann sehen, ist nicht sicher.

Der Projekttitel "Garten der Lüste" kommt auch in dieser Ausstellung auf der bel etage wieder zu Verwendung und Ehren. "Garten der Lüste: Sammlung Koeck, Zyklus P" setzt dort an, wo die "Sehstörungen", die "Labelmania"-Edition und einige andere Arbeiten aus dem Jahr 2005 die Fährte gelegt haben und führt sie zum persönlichen Markenkonsum weiter ("Labelfetischismus, Inszenierung und Selbsterfindung durch und mit Mode, Selbstportrait" – aus dem begleitenden Text des Jahres 2005). Ich habe überraschende Parallelen und auch deutliche Differenzen zur Arbeit von Florian Slotawa (www.florianslotawa.de) und seinen Besitzarbeiten festgestellt.

"Verfügbar in allen Größen" auf dem balcony geht zurück auf eine Arbeit von Jonathan Monk aus dem Jahr 2005 mit dem Titel »All the sizes available in all the sizes available (Manhattan)«. Monk beschäftigt sich mit einem Musterabzug eines Fotogeschäfts, der mittels eingeblendeter Formatlinien die möglichen Abzugsgrößen des Motivs für Kunden verdeutlichen soll. Monk interpretiert diese Arbeit, indem er den Musterabzug in allen verfügbaren Größen – sieben an der Zahl – abziehen lässt (Casey Kaplan Gallery). Ich habe eine meiner eigenen Fotografien ausgewählt und bin einen ganz anderen Weg gegangen.

In der lounge schließlich verarbeite ich unter dem Titel "Data recovery" ein Thema, dessen Auswirkungen ich selbst leidvoll erfahren musste: Datenverlust. Zwei fatale Festplattenschäden haben mich vor die Möglichkeit gestellt, bis ins Jahr 1996 zurückreichende digitale Kunst sowie mein komplettes digitales Bilderarchiv zu verlieren. Durch die – teure – Hilfe eines professionellen Datenretters habe ich die Daten einer Festplatte inzwischen wieder vorliegen … wenn auch ohne Titel und nur nach Datenformaten sortiert …. Ein erstes Ergebnis der Reflektion war ein im Jahr 2009 erschienenes, auf 10 Exemplare limitiertes Künstlerbuch mit dem Titel "The recovery issue", das ebenso in der Ausstellung zu sehen sein wird wie der namensgebende Hauptbestandteil: gerettete, digital entstandene Kunst, die in dieser Form noch nie der Öffentlichkeit gezeigt wurde. Der ergebnisoffene Prozess wird mit Beginn der Ausstellung ebenso wenig zu Ende sein, wie mir bei Beginn der Konzeption klar war, was ich würde zeigen können.

Finale, presto ma non troppo, attaca

Barbara Bouto, eine Künstlerkollegin und Freundin sagte anlässlich der Ausstellung "Garten der Lüste" im Jahr 2005 zu mir: "Ich sehe einen Menschen, der verzweifelt versucht, sich nicht zu wiederholen."

Ideen kommen …. Wenn ich sie festhalten kann, gehen sie nicht – ganz. Sie finden ihren Weg durch die Instanzen meines Verstandes, der Brotberuf des Produktdesigners lässt mich sie auf ihre Umsetzbarkeit hin abklopfen, die Widerständigkeit des Künstlers sagt immer wieder: "Es gibt kein »Das geht doch gar nicht!«" oder "Tu's doch einfach!", aus beiden Welten fließt etwas ein und am Ende entstehen Artefakte, die Ihnen etwas über sich und mich erzählen? Ich bin besessen von Ideen. Sie finden ihren Weg in die Wirklichkeit. "Herzlich willkommen" im Kunstkaufhaus Koeck!